Das bahnbrechende Klima-Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Mit dem sog. Klima-Urteil vom 29.04.2021 hat das Bundesverfassungsgericht (BVG) die Bundesregierung (BR) abgestraft wie selten. Indem die faktische Umsetzung der an sich schon zu gering angesetzten eigenen Klimaziele auf eine fernere Zukunft verschoben werde, seien grundrechtlich garantierte Freiheitsrechte der jüngeren und zukünftiger Generationen wesentlich eingeschränkt, so die Karlsruher RichterInnen des 1. (Grundrechts)Senats. Das Urteil, das unmittelbare Bindungswirkung für diese und künftige Bundes- und Landesregierungen hat, steht in einer Reihe mit Urteilen in Irland, den Niederlanden und Frankreich, die den Klimawandel zunehmend zu einem justitiablen Thema auch auf europäischer Ebene machen. 

Wie kam es dazu? Es ist wie so oft im Leben – die Ersten, in diesem Fall die Alten, scheitern noch beim Betreten von Neuland, die nachfolgenden Jungen schaffen dann den Durchbruch. 2018 hatten drei unmittelbar von den Auswirkungen des Klimawandels betroffene Familien – aus Brandenburg, dem Alten Land sowie die Pellwormer Familie Backsen – die Bundesregierung daraufhin verklagt, zuwenig für die Umsetzung der von ihr selbst auf Grundlage der Pariser Klimaziele 2015 gesetzten Ziele getan zu haben. War diese Klage noch 2019 vor dem Verwaltungsgericht Berlin abgewiesen worden, da im damals bestehenden Rechtsrahmen a) kein beklagbares Klimagesetz der BR vorlag, sondern nur eine nicht justitiable politische Absichtserklärung, und b) der BR nicht vorgeworfen werden könne, dass sie nichts getan habe, um der Klimakrise zu begegnen, so ahnte das Gericht durch die vorausschauende Zulassung der Revision schon, dass hier Neuland betreten wurde.   

Mit dem jetzigen BVG-Urteil ist dies geschehen. Zunächst liegt mit dem 2019 verabschiedeten Klima-Gesetz der Bundesregierung inzwischen eine verbindliche Rechtsnorm vor, die gerichtlich überprüft werden kann. Wenn auf den ersten Blick die Begründung des Gerichts auch etwas anders ausfällt als erwartet: eher Rekurs auf die Verletzung von Freiheitsrechten als eine zu deutliche Betonung des Klimaschutz-Artikels 20a, so ist der Rückgriff auf die Freiheitsrechte am Ende viel aussagekräftiger und strategisch weitreichender. Darüber hinaus wird erstmalig höchstrichterlich der Klimawandel als gegeben bestätigt. Die Kernsätze des Urteils beinhalten bzw. bedeuten Folgendes: 

  • Der grundrechtlich verbriefte Schutz des Lebens und körperlicher Unversehrtheit schließt den Schutz vor Umweltbelastungen ein und begründet eine Schutzpflicht des Staates für die gegenwärtige, aber auch zukünftige Generationen. Dabei wird der Artikel 20a nicht absolut gesetzt, sondern muss mit anderen Grundrechten in Einklang gebracht werden. 
  • Die Klimakrise ist nach aller wissenschaftlicher Erkenntnis evident und nicht mehr zu leugnen. Die Politik hat sich mit ihren Klimaschutzzielen am jeweiligen Stand der Wissenschaft zu orientieren. Als derzeitiger Orientierungsrahmen gilt das Pariser Klimaziel unter 2°, möglichst nicht mehr als 1,5 ° zusätzliche Erderwärmung gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter. 
  • Beim Artikel 20a des Grundgesetzes handelt es sich um eine einklagbare Rechtsnorm, die faktische Bindungswirkung für das politische Handeln hat. 
  • Indem die BR die Erreichung der Klimaziele wesentlich auf einen späteren Zeitraum nach 2030 verschiebt, bürdet sie zukünftigen Generationen eine überproportionale Reduzierung des CO2-Ausstoßes auf, die die dann Lebenden sehr wesentlich in ihren grundrechtlich verbrieften Freiheitsrechten einschränken würde.  
  • Die Definition von Klimazielen kann nicht dem Parlament, der Legislative, qua Verabschiedung eines Klimagesetzes überlassen werden. Vielmehr ist die Regierung als Exekutive verpflichtet, die konkreten Ziele zu definieren und für deren Umsetzung zu sorgen. 

Herzlichen Glückwunsch an die mutigen Jugendlichen und Chapeau – DANKE!