Esthers Rede zur Resolution gegen Abschiebungen nach Afghanistan (TOP 13)

Sehr geehrtes Präsidium, sehr geehrter Herr Landrat, sehr geehrte Damen und Herren,

im Sommer 2018 erhängte sich ein junger Mann, 23 Jahre alt, am Tag nach seiner Abschiebung nach Afghanistan in Kabul in der Übergangsunterkunft, in der er sich einige Tage hätte aufhalten können, bevor er sich in eine, für ihn vielleicht zu ungewisse, Zukunft in ein Land aufmachen sollte, dessen Sicherheitslage im Lagebericht des auswärtigen Amtes aus dem Sommer 2018 als „volatil“, also statistisch schwankend, benannt wurde.

Die humanitäre Lage wird dort weiterhin als schwierig schwierig beschrieben. Die Versorgung von hunderttausenden Rückkehrern, vor allem aus den Nachbarländern Iran und Pakistan, und Binnenvertriebenen stellt das Land vor große Herausforderungen. Hinzu kommt die chronische Unterversorgung der Bevölkerung in Konfliktgebieten, da hier aufgrund der Sicherheitslage internationale Hilfsorganisationen nur wenig oder gar nicht wirksam werden . Die Dürre 2018 verschärft die Lage noch erheblich.

Zur rechtlichen Lage lässt sich im Lagebericht lesen, dass wegen des allgemeinen Islamvorbehalts  laut Verfassung kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen darf. Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, so dass nicht festgelegt ist, welches Gesetz in Fällen des Konflikts zwischen traditionellem islamischem Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und das Fehlen einer Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen. Verwaltung und Justiz wären eingeschränkt wirkmächtig, der stete Drahtseilakt zwischen Islamvorbehalt in der Verfassung, tradierten Moralvorstellungen und ratifizierten internationalen Abkommen wird beschrieben. Immer wieder wurden Fälle dokumentiert, in denen nicht-staatliche Gruppen, darunter auch Taliban, eigenmächtig Todesurteile oder körperliche Strafen verhängt und vollzogen haben. Von einer nicht bekannten Dunkelziffer derartiger außergerichtlicher Verfahren ist auszugehen. Die afghanische Regierung verurteilt diese Exekutionen. Regierungsfeindliche Kräfte nutzen die Abwesenheit oder das mangelnde Vertrauen in staatliche Justizstrukturen, um eine eigene „parallele Rechtsprechung“ durchzusetzen.

Eine Bedrohung für Leib und Leben von Zivilisten gehe insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Blindgängern und Munitionsrückständen, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. Es gibt Sicherheitsbedenken für die Bewegungsfreiheit bei Reisen auf dem Landweg durch illegale Kontrollpunkte und Überfälle auf Landstraßen.

Was bedeutet das denn nun für Menschen, die dorthin zurück müssen? Wenn sie aus einer der Provinzen stammen, in denen die Sicherheitslage als bedrohlich eingeschätzt wird, und das sind je nachdem wer sich dazu äußert sehr viele oder alle, wird ihnen geraten, sich ein einer der vermeintlich sichereren Regionen anzusiedeln. Ohne Familienverbund und Kontakte, wenn die Person dann aufgrund Akzent erkennbar z.B. jahrelang im Iran gelebt hat oder nun z.B auch seit vielen Jahren in Deutschland, wird das mit der Reintegration schwer. Die Arbeitslosenquote liegt bei fast 40%, die Grundversorgung ist eingeschränkt, die Gesundheitsversorgung ist nur in den Ballungszentren einigermaßen und sehr deutlich jenseits unserer Standards, in ländlichen Gebieten nahezu nicht gegeben. Die Behandlung psychischer Folgen von Flucht und Traumatisierung findet nicht statt. In Kabul gibt es 14 stationäre Behandlungsplätze, weitere sind landesweit offensichtlich nicht bekannt. Auch ist psychische Erkrankung im dortigen Kulturkreis stigmatisiert.

Wenn die Landesregierung ihren Koalitionsvertrag ernst nimmt und der Humanität den Vorrang vor der Abschiebung gibt, dann erwarte ich keine vermehrten Abschiebungen über die bisherige Personengruppe hinaus aus Schleswig- Holstein. Die Signale aus der kürzlichen Landtagssitzung erscheinen da positiv.